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Astro Bot

·8 min

Ich habe eine lange Beziehung zu Sonys beiden ersten Konsolen. Ich hole kurz aus.

Die Ur-PlayStation war die zweite Konsole, die in unserem Haushalt Einzug gefunden hat. Ich kann es nicht mehr genau sagen, aber es muss irgendwann gegen Ende der 90er gewesen sein. 1998, 1999? So etwas in der Richtung. Zuvor hatten mein Bruder und ich bereits einige Zeit mit unserem Super Nintendo verbracht und waren komplett auf Super Mario und Co. gepolt. Unsere Gameboy Color mit Pokémon und Konsorten taten ihr Übriges.

Wie das zu dieser Zeit oft war, hat man von solchen “neuen” Konsolen (neu ist relativ, sie war ja nun schon einige Jahre auf dem Markt, und die PS2 warf bereits die Schatten voraus) eher vom Hörensagen mitbekommen. Wie es dann genau dazu kam, ist mir schleierhaft, aber eines Tages war er da: dieser sagenumwobene graue Kasten mit Controllern, die sonderbare, joystickähnliche Knubbel hatten (man merkt, wir waren keine PS1-Spieler der ersten Stunde) und den Namen DualShock trugen.

Boah.

Speichern war zwar zu Beginn, mangels weiterem mystischem oft Zubehör, nicht möglich, aber wir waren damals ja schon mit der beiliegenden Demo-CD zufrieden und konnten damit Stunden über Stunden verbringen. Crash Bandicoot, WipeOut, Formel 1 – wir hatten viel Spaß damit. Demo. Das merken wir uns kurz.

Die PlayStation 2, die dann bei vielen in meiner Generation bleibenden Eindruck hinterlassen hat, folgte einige Jahre später und brachte eine ebenso vollgepackte, in unserem Fall blaue Disc mit sich. Hier kann ich mich nur noch an das für uns damals packende Dynasty Warriors (2?) erinnern. Das wurde in der Folge mit unserem Cousin rauf, runter, links, rechts – ihr wisst schon – durchgespielt. Diese Demo-Discs waren für viele junge Spielende damals eine Möglichkeit, abgesehen von Magazinen, Infos über Spiele zu bekommen und sie auch noch ausprobieren zu können.

Purer Wahnsinn.

Viele Jahre später. Wir schreiben das Jahr 2021. Der zweite Corona-Pandemie-Herbst stolpert langsam, aber sicher in den Winter. Die neue Konsolengeneration hatte im vergangenen Jahr einen äußerst holprigen Start hingelegt. Verfügbarkeiten waren und sind oft immer noch schleppend. Ein Arbeitskollege meiner Partnerin verkauft sein quasi neuwertiges Exemplar. Zuschlag. Da ist das Mutterschiff. Und was verbirgt sich auf dem als pfeilschnell angepriesenen Solid-State-Drive der PS5? Eine Demo möchtet ihr sagen?

Nö.

Eine Tech-Demo, verpackt in einem (gar nicht mal ganz so) kleinen Spiel, möchte ich sagen. Ein typisches Spiel, welches die Funktionen und Möglichkeiten der Hardware zeigen und vorführen möchte. Es trägt den Namen: Astro’s Playroom.

Ich habe meine PS5 gebraucht im Bundle mit Horizon Forbidden West gekauft und mir dazu noch ein paar Spiele von einem Freund ausgeliehen. Gerade, weil ich die letzten beiden Konsolengenerationen im Xbox-Lager unterwegs war, fehlen mir alle Sony-Exklusivtitel der vergangenen – ja – beiden Jahrzehnte. Traurigerweise.

Es war eine besondere Zeit für eine besondere Konsole. Meine Partnerin war in diesem Herbst schwanger, und wir hatten viele Abende, an denen wir einfach auf der Couch saßen und auch Zeit war, die neue Konsole ausgiebig zu spielen. Doch womit anfangen? Klar, auch ohne Horizon Zero Dawn gespielt zu haben, hat Horizon Forbidden West ein wahnsinniges Interesse bei mir ausgelöst. Aber dazu ein anderes Mal. Ich habe begonnen mit dem kleinen Astro. Und Leute: Was für ein Spaß. Das Spiel war in wenigen Stunden durch, aber meine Herren und Damen – was für ein Spaß! Der kleine Bot wächst einem sofort ans Herz und lässt dasselbe auch nie wieder los. Sofort gab es die Reminiszenzen an die Momente in meiner Kindheit und Jugend, die sich unlöschbar in meine Hirnrinde gegraben haben. Sie verstehen ihr Handwerk bei Team Asobi. Sie verstehen es meisterhaft, meine Nostalgie-Trigger zu betätigen, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Das alles wirkt wie eine Verbeugung vor der Geschichte von Sonys Konsolen, die den Konsolen und deren Erfolg würdig ist. Was soll da denn noch folgen?

Denkste.

Da nehmen die sich einfach ein paar Jahre Zeit und machen das Ganze noch einmal! Nur noch geiler! Dieses Mal liegt der Fokus etwas weniger (aber nur etwas) auf dem Hardware-Kult, sondern auf den Charakteren aus den Spielen, mit denen sich bei den meisten Spielenden diese warmen, nostalgischen Erinnerungen aufladen oder auch ganz frisch erst schaffen lassen. Von Ratchet und Clank über Sly Cooper, Nathan Drake (ich habe noch sooo viel nachzuholen), Jak and Daxter, Psychomantis, Solid Snake und Crash Bandicoot bis hin zu Kratos und Atreus oder Aloy. Diese liebgewonnenen Charaktere begegnen uns im Spiel an allen Ecken und Enden. Aber ich beginne ja mittendrin. Fangen wir vorne an.

Die Story ist einigermaßen banal, aber hey – welche Super-Mario-Story ist nicht banal? Gut. Hätten wir das auch geklärt.

Ein fieser Alien in seiner fliegenden Untertasse zerlegt uns flugs unser PS5-Raumschiff und zerstreut die wichtigen Einzelteile über allerlei Planeten, mit allerlei Leveln und allerlei Bossgegnern. Dazu kommen uns auch unsere mitfliegenden Bots abhanden. Dreihundert an der Zahl. Mit dem kläglichen, qualmenden Rest des Schiffs stürzt Astro auf einem Planeten ab.

Da sind wir nun.

Manche mögen Parallelen zu den Mario-Galaxy-Spielen sehen, aber das ist, abgesehen vom generellen Setting, nicht wirklich passend. Wo es in Mario Galaxy wirklich kleine, tatsächlich kugelförmige Mini-Planeten sind, hüpft und gleitet Astro über – wie beschreibt man das am besten? – in Maßstab und Relation passend groß anmutende Planeten und deren Biosysteme. Und mein lieber Scholli: Watt is’ dat schön! Überall gibt es etwas zu entdecken. Kleine Tiere, die die Levels lebendig machen. Puzzleteile, die gesammelt werden wollen. Münzen, die im Gacha-Automaten an der „Absturzstelle“ neues Sammelzeug (Skins, passende Objekte für die geretteten Bots …) freischalten, und natürlich die vermissten Bots. Es gibt zwei Arten: generische Bots, die eben einfach generisch sind, und Bots, die aussehen wie die oben genannten Sony-Helden. Für die großen, wichtig erachteten (und marketingtechnisch für Sony gut verwertbaren) Franchises gibt es Speziallevel, in denen wir ins Blechkleid der Protagonisten wie Nathan Drake oder Aloy schlüpfen. Die Level sind machbar einfach, aber um alle versteckten Bots zu finden und weiter im Spiel voranzukommen, muss man schon die Augen offenhalten. Ein Kniff sind noch die superputzigen Helferlein, die etwas Würze ins Gameplay vieler Level bringen. So gibt es einen Hund, der uns mit Wucht nach vorne dashen lässt, oder ein Hühnchen, das uns – mit etwas weniger Wucht – Ähnliches in der Vertikalen vollführen lässt, oder einen Frosch(?), der uns Boxhandschuhe verleiht, um allerlei Levelteile und Gegner zu Kernschrott zu verarbeiten.

So weit, so 3D-Jump-n-Run.

Nach und nach habe ich, aufgrund meiner begrenzten Zeit, über ein paar Monate hinweg immer mal wieder abends ein paar Planeten gespielt. Nach circa, ungefähr, knapp zwei Dritteln des Spiels habe ich dann aber eine Entdeckung gemacht: Es gibt Geheimlevel! Und BOAH! Sind die toll! Manche Level sind komplett in Voxel-Optik gehalten, welche mich total anspricht (obwohl Minecraft komplett an mir vorbeigegangen ist), andere sind etwas härtere bis tatsächlich harte Hüpfnüsschen, die geknackt werden möchten. Nochmal: BOAH hat das Spaß gemacht! In den Galaxien verteilt gibt es, wenn man sie denn dann gefunden hat, mehrere solcher Level. Diese Zusatzlevel haben mich dann noch einmal viele Stunden mehr vor den Bildschirm gefesselt. Ich habe ja auch ein Faible für schwierige Plattformer wie Celeste oder The Messenger oder Klassiker wie Mega Man X. Diese anspruchsvollen Level haben genau dieses Bedürfnis komplett befriedigt.

Notiz an mich selbst: Astro Bot 100 %-Speedrun googeln und anschauen.

Ein weiterer, nicht zu verachtender Aspekt des Spiels ist der Sound. Was ich dennoch nicht zwingend gebraucht hätte, ist der Sound aus dem Controller. Das könnte auch gerne in meinen Kopfhörern passieren. Aber stören tut es wirklich nicht. Es ist ein Gimmick, und ich frage mich, wie es sich auf die ohnehin schon begrenzte Akkulaufzeit des DualSense-Controllers auswirkt. Da fällt mir ein: Das sollte ich auch einmal nachschauen, ob das ausschaltbar ist. Die Lautstärke ist auf jeden Fall anpassbar.

Wie den roten Teppich in einer Oscarnacht im Februar rollt das Spiel diesen quietschbunten Soundtrack vor mir aus. Die Melodien strotzen nur so vor Spaß und untermalen die Stimmung des Spiels meisterlich. Wer genau hinhört, versteht sogar, was in den Liedern gesungen wird, denn oft haben sie zusätzlich zu den treibenden Melodien noch einigermaßen witzige Texte. Astro fiepst und flötet außerdem permanent vor sich hin und kommentiert, was um ihn herum so passiert. Der Spaß für die Ohren steht dem für die Augen in nichts nach.

Sind dann alle Teile des Raumschiffs gesammelt und genug Bots wieder mit an Bord, startet das Ende des Spiels. Ein Endboss-Kampf, der dem Namen wirklich bildgewaltig gerecht wird, stülpt einem, zum Ende doch noch einmal, einen rührenden Deckel auf die Story. Während des Spielens sind mir mehrfach Jauchzer oder Kommentare laut entfleucht. Das ist wieder und ein letztes Mal in der finalen Story-Sequenz passiert. Es war ein: „Nicht euer Ernst?!“

Damit kann ich euch dieses bei den Game Awards in Los Angeles zum Game of the Year 2024 gekürte Spiel einfach nur ans Herz legen. Wenn ihr keine PS5 habt, dann solltet ihr spätestens jetzt einmal drüber nachdenken, euch eine zuzulegen. Dieses Spiel macht so unglaublich viel einfachen und ehrlichen Spaß. Ich habe mich wirklich in kindliche Freude, wie es sonst oft nur Nintendo-Titel schaffen, zurückversetzt gefühlt. Nichts in diesem Spiel wirkt grindy, nichts will euch euer hart verdientes Geld aus der Börse ziehen. Es ist ein Spiel, welches in dieser Größe beinahe aus der Zeit gefallen ist. Ohne Service-Aspekt und Microtransactions.

Bravo, Team Asobi!